27. März 2023 / Aus aller Welt

60 Tage Haft für ein Kind: Australiens Jugendstrafrecht

Während in Deutschland nach dem Tod der zwölfjährigen Luise über das Alter für Strafmündigkeit diskutiert wird, werden in Australien schon Grundschüler eingesperrt - oft wegen kleinster Vergehen.

Jugendgefängnis im australischen Darwin.

60 Tage wurde Jack weggesperrt. Das Vergehen des 13-Jährigen: Er hatte einem Gleichaltrigen bei einem Streit einen Schlag versetzt. Als dieser drohte, die Polizei zu rufen, riss der junge Aborigine ihm das Smartphone aus der Hand. Jack wurde im australischen Bundesstaat Queensland wegen Körperverletzung und Diebstahls festgenommen und kam ohne Prozess oder Verurteilung insgesamt zwei Monate in ein Jugendgefängnis - davon lange Strecken in Einzelhaft.

Der Fall hat in Down Under Schlagzeilen gemacht und Menschenrechtler auf den Plan gerufen. Dabei ist die Geschichte kein Einzelfall: Der Umgang der australischen Justiz mit Jugendlichen steht schon lange in der Kritik und wäre in Deutschland undenkbar. Grund: Auf dem fünften Kontinent liegt die Strafmündigkeit bei zehn Jahren. Da sind die meisten noch in der Primary School (Grundschule). In Deutschland - wie in vielen anderen europäischen Ländern - gelten Kinder, die noch keine 14 Jahre alt sind, hingegen als schuldunfähig.

22 Tage Einzelhaft wegen einer Ohrfeige

Allerdings hat der Tod der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg auch in Deutschland eine Debatte über die Strafmündigkeit ausgelöst. Die beiden mutmaßlichen Täterinnen sind 12 beziehungsweise 13 Jahre alt und werden strafrechtlich nicht verfolgt. Am anderen Ende der Welt werden Kinder hingegen nicht nur eingesperrt, sondern dabei - wie im Fall Jack - offenbar auch grundlegender Rechte beraubt.

Zwischen dem 1. und dem 23. Februar habe das Kind seine Zelle im Cleveland Youth Detention Centre (CYDC) in Townsville kein einziges Mal verlassen dürfen, berichtete der australische Sender ABC. Das sind 22 Tage Einzelhaft wegen einer Ohrfeige. Und auch ansonsten habe Jack nur ab und zu heraus gedurft. Seiner Mutter zufolge soll ihm sogar über längere Zeit Trinkwasser verweigert worden sein.

«Er hat mir gesagt, er sei so verzweifelt gewesen, dass die Sicherheitskräfte ihm nicht erlaubten, etwas zu trinken, dass er seine Zelle geflutet habe», wurde sie zitiert. Auch dies kein Einzelfall: Laut ABC kommt es oft vor, dass Kinder in Haft aus Frust die Toiletten blockieren und ihre Zellen unter Wasser setzen.

Der Umgang mit Jack habe nicht nur gegen die Menschenrechtsgesetze von Queensland verstoßen, wonach Inhaftierte mit Menschlichkeit und Respekt behandelt werden müssen, sondern auch gegen internationale Vorgaben, sagte der Menschenrechtskommissar des Bundesstaates, Scott McDougall. «Die Regeln besagen, dass inhaftierte Kinder und Erwachsene mindestens zwei Stunden am Tag Zugang zu frischer Luft und Bewegung haben sollen, und hier war dies eindeutig nicht der Fall.»

«Grausam und unangemessen»

Dabei habe es sich lediglich um eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei 13-Jährigen gehandelt, die laut Video-Aufnahmen gerade einmal 30 Sekunden gedauert habe, sagte Jacks Anwalt Tim Grau. Er wolle das Ganze nicht herunterspielen, Jack habe dem anderen einen Schlag versetzt und hätte das nicht tun wollen. «Aber ihn dann für insgesamt 60 Tage einzusperren, ist grausam und unangemessen.»

Auffällig ist der besonders hohe Anteil an jungen Ureinwohnern, die in Jugendhaft gesteckt werden. Laut des Australian Institute of Health and Welfare (AIHW) machen Indigene nur 5,8 Prozent aller Jugendlichen zwischen 10 und 17 Jahren aus, stellen aber fast die Hälfte aller inhaftierten jungen Menschen. Die Mehrheit sei - wie Jack - nicht verurteilt worden.

«Aboriginal-Kinder stammen eher aus abgelegenen und sozioökonomisch schwächeren Gegenden», schrieb die Menschenrechtsorganisation Amnesty International dazu. Dort gebe es weit mehr Festnahmen als in Großstädten. «Die meisten werden wegen einfacher Vergehen verhaftet: Sachbeschädigung, Autodiebstahl, gelegentlich Einbruch. Oder einfach, weil sie sich nachts auf der Straße herumtreiben.»

Wie andere Organisationen fordert Amnesty das Strafmündigkeitsalter auf 14 zu erhöhen. Damit würde Australien den meisten Staaten Europas folgen – mit zwei Ausnahmen, hieß es: «In Großbritannien gilt nach wie vor zehn als Mindestalter – ebenso in der Schweiz.»

Wegsperren führt selten auf den rechten Pfad

In dem Artikel zitiert Amnesty den Kriminologen Chris Cunneen: «Wenn wir wirklich glauben würden, dass Zehnjährige das Wissen und den Entwicklungsstand haben, um lebensverändernde Entscheidungen darüber zu treffen, was richtig und falsch ist (...), dann würden wir sie auch in anderen Bereichen des Lebens anders behandeln.» Dann müsse auch das Alter, in dem Kinder Sex haben, die Schule verlassen oder Verträge unterschreiben dürfen deutlich heruntergesetzt werden.

Vor allem aber, und da sind sich Experten einig, führt einfaches Wegsperren nur in den seltensten Fällen zurück auf den rechten Pfad. Das sagen auch Betroffene, so wie der 40-jährige Wayne Shaw. Mit 13 Jahren saß er zum ersten Mal ein, damals wegen Autodiebstahls. Seither wurde er nach eigenen Angaben immer wieder straffällig, stand zahlreiche Male vor Gericht. In einem Interview mit der ABC sagte er, die Jugendhaft habe ihn «zu einem besseren Kriminellen» gemacht.

Zu den Zuständen in Australiens Gefängnissen kommt aber generell nicht viel ans Licht: Als der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter (SPT) sich im Oktober ein Bild machen wollte, wurden ihm so viele Steine in den Weg gelegt, dass der Besuch abgebrochen wurde.

Jacks Mutter macht sich derweil große Sorgen um ihren Sohn. Er sei völlig verändert aus der Haft gekommen. Vorher sei er sehr gesprächig gewesen, jetzt wirke er «gestresst und verschlossen». Es sei hart, ihn wieder an ein normales Leben zu gewöhnen. «Der Regierung möchte ich sagen, dass es lächerlich ist, Kindern so etwas anzutun.»


Bildnachweis: © Neda Vanovac/AAP/epa/dpa
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