27. Oktober 2021 / Aus aller Welt

Fahrer nach Unfall mit vier Toten: «Unermessliches Leid»

Fußgänger warten an einer Ampel in der Berliner Innenstadt. Ein SUV rast heran, überschlägt sich und erfasst die Gruppe. Vier Menschen sterben. Nun steht der Unfallfahrer vor Gericht.

Der Angeklagte (M) zwischen seinen Anwälten in Berlin.

Vier Menschen, darunter ein dreijähriger Junge, wurden bei dem grausigen Unfall in der Berliner Innenstadt aus dem Leben gerissen - der Grund soll der epileptische Anfall eines SUV-Fahrers gewesen sein.

Gut zwei Jahre nach dem Unglück hat dieser nun sein Bedauern ausgedrückt und den Angehörigen sein Beileid ausgesprochen. «Es ist ein schreckliches, ganz grauenhaftes Unglück», erklärte der 44-Jährige am Mittwoch zum Prozessauftakt vor dem Landgericht Berlin. Er sei zutiefst verzweifelt über das «unermessliche Leid, das mein Unfall verursacht hat», sagte der Mann mit tränenerstickter Stimme.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Diplom-Kaufmann fahrlässige Tötung und fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs vor. Sein schweres SUV-Fahrzeug (Sports Utility Vehicle: Geländelimousine oder Stadtgeländewagen) hatte am 6. September 2019 auf der Invalidenstraße in Berlin eine Ampel gerammt und sich mehrfach überschlagen. Dabei erfasste er mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 Kilometern pro Stunde vier Menschen auf dem Gehweg - sie hatten keine Chance. Die Opfer, eine 64 Jahre alte Großmutter mit ihrem dreijährigen Enkel sowie zwei 29- und 28-jährige Männer, starben noch am Unfallort.

Der Fall hatte seinerzeit für großes Aufsehen gesorgt. Auch zum Prozessauftakt vor dem Landgericht Berlin herrschte großer Andrang. Sichtlich angespannt saß der angeklagte Familienvater nun zwischen seinen Verteidigern im Saal 500 auf der Anklagebank. Während er seine vorbereitete mehrseitige schriftliche Erklärung vorlas, versagte dem Mann im schwarzen Pullover und weißen Hemd mehrfach die Stimme.

Neun Hinterbliebene sind laut Gerichtssprecherin Lisa Jani als Nebenkläger in dem Verfahren zugelassen. Zum Prozessauftakt erschien jedoch nur einer von ihnen persönlich. Für seine Mandanten sei es eine »wahnsinnige Belastung», erklärte der Anwalt einer Familie eines getöteten jungen Mannes.

Im Fokus des Verfahrens stehen medizinische Fragen. Denn aus Sicht der Staatsanwaltschaft hätte der 44-Jährige wegen einer strukturellen Epilepsie und einer Gehirnoperation, die erst etwa einen Monat zurücklag, nicht am Steuer des schweren Wagens sitzen dürfen.

Der deutsche Angeklagte erklärte dazu vor Gericht, er habe im Mai 2019 erstmals einen epileptischen Anfall gehabt. Danach habe er sich in medizinische Behandlung begeben. Mit einer Tumoroperation in der Schweiz und mit einer Medikation habe er alles getan, um einen zweiten Anfall auszuschließen. Von Ärzten habe er positive Nachrichten erhalten. In keinem von drei Berichten der Klinik sei er darauf hingewiesen worden, «dass ich für einen bestimmten Zeitraum nach der OP kein Auto fahren dürfe».

Der 44-Jährige war nach eigenen Angaben mit seiner Mutter und seiner kleinen Tochter im Auto auf dem Weg zu einem italienischen Restaurant, als es zum Unfall kam. Der Angeklagte beteuerte: «Es gab überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass ich irgendwann nochmals einen epileptischen Anfall erleiden könnte.» An Details des Unfalls habe er keine Erinnerung.

Die Tragödie sei vermeidbar gewesen, meinte einer der Nebenkläger-Anwälte. «Das macht den unfassbaren Schmerz der Hinterbliebenen besonders stark.» Nach ihrer Schilderung soll es «ganz kurz vor dem Unfall» einen ausdrücklichen ärztlichen Hinweis gegeben haben. Ein behandelnder Neurologe soll dem Mann demnach gesagt haben, dass er ein Jahr lang nach der Hirn-OP kein Auto fahren dürfe. Nach Angaben von Gerichtssprecherin Jani soll es allerdings kein ausdrückliches ärztliches Verbot gegeben haben.

Die 42. Strafkammer plant zunächst 20 Prozesstage bis Anfang Februar 2022, um das Geschehen aufzuklären. Am nächsten Verhandlungstag (1. November) soll der Angeklagte weiter befragt werden. Etwa 70 Zeuginnen und Zeugen hat die Staatsanwaltschaft nach Gerichtsangaben benannt. Ob diese alle vor Gericht erscheinen müssen, bleibt abzuwarten.


Bildnachweis: © Paul Zinken/dpa
Copyright 2021, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

Meistgelesene Artikel

Welcome-Center für Ingolstadt
Aktuelles aus der Region 10

Ein Center um Willkommensstruktur und -kultur zu schaffen

weiterlesen...
Fördert Apportieren das Jagdverhalten?
Hund - Katze - Maus

Blogbeitrag von der Martin Rütter Hundeschule Ingolstadt

weiterlesen...
Wintereinbruch und Glätte-Unfälle in Bayern
Aus aller Welt

Winter im April: Schnee, Graupelschauer und Blitzeis haben den Freistaat am Wochenende heimgesucht - mit Folgen auf den Straßen.

weiterlesen...

Weitere Artikel derselben Kategorie

Nach Großbrand in Metallwerk - Feuerwehr gibt Entwarnung
Aus aller Welt

In einem Werk einer Firma für Metalltechnik in Berlin hat es gebrannt. Kurzzeitig war die Sorge um giftige Gase groß. Jetzt gibt die Feuerwehr Entwarnung.

weiterlesen...
Mindestens 56 Tote bei Überschwemmungen in Brasilien
Aus aller Welt

Nach heftigem Regen versinkt der Bundesstaat Rio Grande do Sul in Wassermassen. Zehntausende suchen Zuflucht, mindestens 56 kamen ums Leben. Brasiliens Präsident Lula spricht von einem historischen Ausmaß.

weiterlesen...
Getötete Ukrainer: Angreifer lehnten Behördenhilfe ab
Aus aller Welt

Nach dem mutmaßlichen Doppelmord an zwei Ukrainern in Oberhausen wird klar: Die 14- und 15-jährigen Tatverdächtigen waren längst im Fokus der Behörden. Doch Hilfsangebote verfehlten ihr Ziel.

weiterlesen...