16. Dezember 2021 / Aus aller Welt

Sollen Behörden gendern?

Sprache ist im Fluss, aber Veränderungen können auch Protest auslösen. Die Stadt Hannover gibt ihren Beschäftigten seit knapp drei Jahren Regeln für eine geschlechtergerechte Sprache vor. Ein mehr als 100-seitiges Gutachten erläutert jetzt die Rechtslage.

Ein Ausschnitt aus dem Flyer «Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache».

Der Lehrer, der Wähler oder der Bauleiter tauchen in den offiziellen Schreiben der niedersächsischen Landeshauptstadt nicht mehr auf. Als eine der ersten Kommunen in Deutschland hat Hannover vor knapp drei Jahren das Gendern eingeführt - begleitet von hitzigen Debatten in sozialen Medien.

Denn noch immer sind Gender-Stern und Binnen-I ein Aufregerthema. Formulierungen wie «der*die Ingenieur*in» oder «liebe Kolleg:innen» empfinden Kritiker als eine Verhunzung der deutschen Sprache.

Die Verantwortlichen im Rathaus von Hannover sehen sich dagegen nun durch ein Rechtsgutachten bestätigt, das sie selbst in Auftrag gegeben haben. «Sprache transportiert nicht nur Regeln, sondern formt und gestaltet gesellschaftliche Wirklichkeit», sagte Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). «Wir wollen mit der Anwendung der geschlechterumfassenden Sprache in der Stadtverwaltung Hannover sehr deutlich machen, dass wir jeden Menschen in der jeweiligen Geschlechtsidentität respektieren.»

Ulrike Lembke, Juraprofessorin an der Berliner Humboldt-Universität, erläutert in ihrem Gutachten, dass sich eine geschlechtergerechte Amtssprache aus dem Grundgesetz ableite. Es gehe um das Grundrecht auf Gleichberechtigung und das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung. Zunächst hatte die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» berichtet.

Die Verwendung des Gender-Sterns sei kein Rechtschreibfehler, betont Lembke. Das Argument von Kritikern, dass in Begriffen wie Ärzte Frauen mitgedacht sind, lässt sie nicht gelten und führt weiter aus: Das Ende der exklusiven Ansprache stelle keine «(rechtlich relevante) Benachteiligung von Männern dar, sondern höchstens eine überfällige De-Privilegierung».

Anfang 2019 hatte die Stadt Hannover die neuen Sprachregelungen für den Schriftverkehr ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter veröffentlicht. «Verwaltungsintern hatten wir schon lange eine Debatte, wie wir nicht nur Männer und Frauen ansprechen», sagte die Gleichstellungsbeauftragte Friederike Kämpfe der Deutschen Presse-Agentur. «Das Gendern hat sich ganz selbstverständlich etabliert.»

Inzwischen haben sehr viele Hochschulen, etliche Kommunen, Unternehmen sowie Medien Gender-Zeichen eingeführt. Für den Duden ist mit «der Mieter» seit diesem Jahr nur noch eine männliche Person gemeint, was auch Kritik auslöste. Der Rat für Deutsche Rechtschreibung begrüßte im März zwar geschlechtergerechte Sprache im Allgemeinen, lehnte eine Aufnahme des Gender-Sterns in das Amtliche Regelwerk allerdings vorerst ab.

«Es ist alles im Fluss», sagte Christine Möhrs vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache der dpa. «Wir haben momentan noch keine Festlegung, welche Art der Umsetzung die Lösung ist.»

Der Musiker Heinz Rudolf Kunze gehört zu den Menschen, die das Gendern mit Vehemenz ablehnen. «Es ist eine Zerstörung der Sprache», sagte er kürzlich in einem dpa-Interview. «Ich höre das, und das quält mich.» Außerdem sei es lächerlich, weil zum Beispiel die englische Sprache dieses Problem gar nicht kenne. Wenn man da eine Feministin sei, heiße es «a feminist», eine Lehrerin sei «a teacher».

Für die Stadt Hannover geht es darum, Diskriminierungen zu verhindern. Das Gutachten verweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen «erhebliche psychische Belastungen von Inter*-, Trans*- und non-binären Personen durch rein binäre Personenbezeichnungen» vorliegen, heißt es. Ebenso belegten eine Vielzahl linguistischer Studien die Benachteiligung von Frauen durch die Verwendung des generischen Maskulinums.


Bildnachweis: © Julian Stratenschulte/dpa
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