27. September 2021 / Aus aller Welt

Idar-Oberstein: Warnung vor Radikalisierung

Die Tat von Idar-Oberstein hat viele Menschen erschüttert. Kommunalpolitiker warnen vor wachsender Gewaltbereitschaft. Am Ort des Geschehens in Rheinland-Pfalz bleibt es eine Woche nach der Tat ruhig.

Ein Angestellter der Tankstelle war in Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz von einem Gegner der Corona-Maßnahmen erschossen worden.

Der tödliche Angriff auf den Kassierer einer Tankstelle in Idar-Oberstein ist nach Einschätzung der Kriminologin Britta Bannenberg keine überraschende Tat.

«Wir haben seit Jahren einen Anstieg von Aggressionspotenzial, von Extremismen und Gewaltbereitschaft», sagte die Professorin von der Universität Gießen der Deutschen Presse-Agentur. Dies habe sich zunächst in der Gewaltbereitschaft gegenüber Amtsträgern wie Einsatzkräften, Polizisten, Mitarbeitern von Jobcentern und Bürgermeistern geäußert.

«Das Klima ist insgesamt rauer geworden und das spüren viele», sagte Bannenberg, die seit Jahren auch zur Kriminalprävention forscht. «Es ist ein Groll gegen die Gesellschaft spürbar, und an den Corona-Maßnahmen entzündet sich vieles. Aber sie sind nicht die Ursache.» Sich jetzt nur auf Corona-Leugner zu fokussieren, sei zu einseitig. «Es ist breiter.»

Einem 49-jährigen Deutschen wird vorgeworfen, in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) am 18. September einem 20 Jahre alten Kassierer in der Tankstelle in den Kopf geschossen zu haben. Der junge Mann hatte ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen. Nach seiner Festnahme sagte der 49-Jährige den Ermittlern zufolge, dass er die Corona-Maßnahmen ablehne. Er sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft.

Polizei zeigt Präsenz

Genau eine Woche nach der Tat sei es am Samstag in Idar-Oberstein ruhig geblieben, sagte ein Sprecher der Polizei am Sonntag. «Wir sind im Ort stark präsent, auch an der Tankstelle. Es gab keine Vorkommnisse.» In den vergangenen Tagen waren an der Tankstelle unter anderem Blumen niedergelegt worden - im Gedenken an das Opfer.

Unterdessen warnte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor einer Radikalisierung der Querdenker-Bewegung in Deutschland. «Die Gruppe der Querdenker wird zwar immer kleiner, aber leider auch immer radikaler und brutaler», sagte Seehofer der «Bild am Sonntag».

Die politisch motivierte Gewalt in Deutschland durch Querdenker sei gefährlich für das Land. «Sie können unser Land zersetzen, wenn der Rechtsstaat sie nicht mit allen Mitteln bekämpft», meinte Seehofer. Er forderte, «die Täter und diejenigen, die Verbrechen wie in Idar-Oberstein unterstützen», hart zu bestrafen.

Mehrere Oberbürgermeister warnten vor einer zunehmenden Radikalisierung in der Gesellschaft. «Wir erleben eine Verrohung, wie wir sie bisher nicht kannten», sagte der Präsident des Deutschen Städtetags, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), dem «Tagesspiegel» (Sonntag). Dies habe 2015 mit der Flüchtlingsdebatte begonnen und sich in der Pandemie fortgesetzt, von den Reichsbürgern bis zu den Corona-Leugnern. Er kritisierte den Umgang der Justiz mit solchen Taten: «Die Staatsanwaltschaften sind mir oft zu luschig», sagte Jung. «Es ist eben nicht Meinungsfreiheit, wenn Artikel 1 unseres Grundgesetzes verletzt wird, also die Würde des Menschen.»

Die Augsburger Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) beklagte in dem gemeinsamen Interview mehrerer Stadtoberhäupter eine gewisse Schutzlosigkeit. Wenn sie Anzeige erstatte, würden die Verfahren oft eingestellt. «Wenn es hart auf hart kommt, fühle ich mich ausgeliefert, weil man überhaupt keine Möglichkeit hat, sich zur Wehr zu setzen», erklärte Weber.


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