15. Dezember 2021 / Aus aller Welt

Operation «Schneeschmelze» - Kokain geht in Flammen auf

Das weiße Pulver aus Südamerika gehört zu den beliebtesten Drogen in Deutschland: Kokain. Inzwischen wird es von der Polizei tonnenweise aus dem Verkehr gezogen - und vernichtet.

Rund 1,5 Tonnen Kokain liegen zum Abtransport bereit.

Den geheimen Ort in Oberbayern sichern schwer bewaffnete Polizisten. Die Sorge ist groß, dass Kriminelle versuchen, das zurückzuholen, was die Beamten nun vernichten wollen: rund 1,5 Tonnen Kokain, höchster Reinheit.

Der Wert: rund 270 Millionen Euro, wenn es auf der Straße verkauft worden wäre. Die Operation «Schneeschmelze» ist einmalig in der Geschichte der bayerischen Polizei. Noch nie haben Beamte dort auf ein Mal so viel Rauschgift vernichtet wie an diesem kalten Dezembertag.

Bevor das Kokain in einer Müllverbrennungsanlage in Flammen aufgeht, packen es Polizisten zurück in die Bananenkartons, in denen es per Schiff aus Südamerika nach Deutschland gelangt war. Die Kartons sollen gleich mit verbrannt werden, an ihnen haften Spuren. Von den Kriminellen und von dem Kokain. Es liegt ein beißender Geruch in der Luft - irgendeine Mischung aus Kleber, Kalk und Chlor. «Koks hat einen unverkennbaren Gestank», sagt einer der Polizisten.

In den vergangenen Jahren wurde deutschlandweit immer mehr Kokain sichergestellt. Waren es 2018 nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) rund fünf Tonnen, belief sich die Menge 2019 auf mindestens das Doppelte. Im vergangenen Jahr beschlagnahmten Ermittler demnach mindestens elf Tonnen, ein Höchstwert in Deutschland. Ein Grund für die steigenden Sicherstellungen sind dem BKA zufolge Funde von größeren Mengen auf einen Schlag, zumeist in Häfen.

Weil immer mehr Kokain beschlagnahmt wird, gehen Experten davon aus, dass auch immer mehr davon auf dem Markt gehandelt wird. «Die Produktion in Südamerika ist deutlich gestiegen», sagt Falk von Usslar, Leiter der Ermittlungsgruppe Rauschgift in Südbayern. Ein Indiz für die Ermittler, dass gerade besonders viel des Rauschgifts im Umlauf ist: Die Preise haben in den vergangenen Jahren nicht merklich angezogen, obwohl allein in Deutschland tonnenweise Kokain aus dem Verkehr gezogen wurde.

Zurück nach Oberbayern: In einem Lastwagen der Polizei werden die Koks-Kartons nun zu einer Müllverbrennungsanlage gefahren. Gesichert von zahlreichen Polizeiwagen, die sich mit Blaulicht den Weg durch den dichten Verkehr auf den Straßen bahnen. Selbst neben dem Lastwagenfahrer sitzt ein schwerbewaffneter Beamter. Das bayerische Landeskriminalamt überlässt an diesem Tag nichts dem Zufall.

Rückwärts fährt der Lastwagen an einen Schacht heran. «Ich bin erleichtert, dass wir jetzt hier sind», sagt Ermittler von Usslar. «Es gab keinen Stau auf dem Weg hierher.» Wäre der Transport im Verkehr stecken geblieben, wäre das ein Sicherheitsrisiko gewesen.

Polizisten werfen die ersten Kartons mit dem weißen Pulver in den Schacht. «Ein, zwei Einfamilienhäuser liegen jetzt da unten», scherzt einer der Polizisten. Jeder Karton, der in den Schacht fällt, wäre für Kriminelle mehrere Hunderttausend Euro wert gewesen.

Nicht nur in Deutschland ziehen Ermittler immer mehr Kokain aus dem Verkehr. Das vergangene Jahr war weltweit ein Rekordjahr. Das BKA berechnete, dass weltweit mindestens 838 Tonnen des Rauschgifts sichergestellt wurden, 2019 waren es noch 784 Tonnen. Dabei zählten die Statistiker lediglich Funde von mehr als 50 Kilogramm zusammen.

Deutsche Ermittler gehen davon aus, dass das Kokain vor allem von Brasilien aus nach Europa geschmuggelt wird. Der Grund: Koka-Pflanzen, aus denen die Droge gewonnen wird, werden vor allem in Kolumbien, Bolivien und Peru gezüchtet - alles Nachbarstaaten von Brasilien. In Brasilien gibt es viele Containerhäfen, über die das Kokain dann in großen Mengen über den Atlantik verschifft wird.

Ende November wurde bekannt, dass Ermittler in Berlin und Wiesbaden einem Schmugglerring auf die Schliche gekommen waren. Über Jahre soll die Bande immer wieder Kokain im großen Stil per Schiff von Brasilien über den Hamburger Hafen nach Berlin transportiert haben. In mindestens einem Fall war die Droge in Stahlträgern eingeschweißt. Die Verstecke waren sogar mit Blei ummantelt worden, so dass sie durch übliche Röntgenverfahren nicht entdeckt werden konnten.

In der oberbayerischen Müllverbrennungsanlage gehen die rund 1,5 Tonnen Kokain gleich in Rauch auf. Ein riesiger Greifarm fährt hinunter in den Schacht und nimmt eine Mischung aus den Kartons, Paletten und all dem anderen Unrat in dem Schacht auf. «Schaut aus wie ein Greifer aus diesen betrügerischen Spielzeug-Automaten», sagt ein Polizist. Mit dem Unterschied, dass hier kein billiges Kuscheltier, sondern Rauschgift in Millionenhöhe dranhängt.

Was jetzt bei rund 1000 Grad vernichtet wird, hatte die Polizei in den vergangenen Jahren bei verschiedenen Aktionen sichergestellt. So hatten im Jahr 2017 Mitarbeiter in zehn bayerischen Supermärkten nahezu zeitgleich Koks-Pakete von fast 200 Kilogramm in Bananenkisten entdeckt. Es war ein großer Fehler einer Drogenbande und ein Glücksfall für Ermittler. Denn eigentlich hätte das Koks niemals in den Supermärkten landen sollen.

Es folgten wochenlang verdeckte Ermittlungen unter dem Namen «Paraguay» in vielen Teilen Deutschlands. Die Täter warteten ab, bis die Kisten mit noch grünen Bananen und dem versteckten Kokain von Hamburg aus in Reifehallen in ganz Deutschland geliefert wurden. Dann brachen sie, teilweise bewaffnet, in die Hallen ein. Alles unter Beobachtung des bayerischen Landeskriminalamts: Acht Einbrüche verfolgten die Ermittler im eigenen Bundesland sowie in Hessen, in Nordrhein-Westfalen und im Saarland.

Im April 2018 schlugen Spezialeinheiten nach einem Einbruch in eine Hamburger Reifehalle zu. Zwar schafften es die Kriminellen noch, Kokainpakete mitzunehmen, die Fahrt wurde dann aber von den Elite-Polizisten gestoppt. Auch Hintermänner erwischten die Ermittler schlussendlich. Im Dezember 2019 wurden der europäische Statthalter der Bande und Komplizen in Belgien festgenommen. Dieser hatte nach Erkenntnissen der Polizei in Südamerika über den Transport von Koks nach Europa verhandelt - direkt an einem Tisch mit kolumbianischen, bolivianischen und peruanischen Drogen- und Kartellbossen.


Bildnachweis: © Karl-Josef Hildenbrand/dpa
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