27. September 2021 / Aus aller Welt

Cyberbunker-Prozess nähert sich dem Ende

Dutzende Prozesstermine, Tausende Seiten Akten und Zigtausende Straftaten, die über Rechner liefen: Fast ein Jahr nach Beginn tritt das Verfahren um einen «Cyberbunker» an der Mosel in die Endphase.

Polizisten sichern das Gelände eines ehemaligen Bundeswehr-Bunkers, in dem illegale Geschäfte im Darknet gemacht wurden.

Der Trierer «Cyberbunker»-Prozess um ein unterirdisches Darknet-Rechenzentrum als Plattform für kriminelle Geschäfte hat schon immer mit seinen Zahlen beeindruckt.

Knapp 250.000 Straftaten sollen über 400 Server in einem alten Bunker in Traben-Trarbach gelaufen sein. Mehrere Millionen schwer waren die Deals mit Drogen, Falschgeld oder Cyberangriffen. Und fünf Jahre waren die Ermittler an der Schaltstelle dran, bis Hunderte Polizisten die Betreiber im September 2019 hochgehen ließen.

Seit nun fast einem Jahr stehen acht Angeklagte vor dem Landgericht Trier. In einem der größten Cybercrime-Prozesse, die es in Deutschland bislang gab: So hatte die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, zu der die Landeszentralstelle Cybercrime gehört, das Verfahren zum Prozessauftakt am 19. Oktober 2020 betitelt. Den sieben Männern und einer Frau wird vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gegründet und Beihilfe zu der Viertelmillion Straftaten geleistet zu haben.

Acht Angeklagte, 16 Verteidiger

Nach mehr als 100 Zeugen, Tausenden Seiten Akten, Dutzenden Prozesstagen - teils zwei Mal pro Woche - neigt sich der Prozess nun langsam dem Ende zu. Zumindest die Beweisaufnahme. Die Kammer wolle ihr Programm gegen Ende September abschließen, sagte der Verteidiger des hauptangeklagten Niederländers, Michael Eichin. Dann würden von der Verteidigung noch Beweisanträge kommen. Und schließlich Plädoyers gehalten: Jeder der acht Angeklagte habe zwei Verteidiger. Der Prozess ist bis Ende 2021 terminiert.

Anwalt Sven Collet schätzt, dass das Verfahren bis Mitte November beendet sein könnte. «Ich rechne damit, dass wir bis Ende des Jahres auf jeden Fall durch sind.» Er vertritt die Calibour GmbH, die das als «Bulletproof-Hoster» (vor dem Zugriff der Polizei «kugelsicher») beworbene Rechenzentrum betrieben hatte, und deren alleiniger Vertreter der Hauptangeklagte ist.

Beihilfe oder nicht?

Eine der zentralen Frage in dem Mammutprozess ist: Hat man den Angeklagten den Vorwurf der Beihilfe nachweisen können - also, dass sie von den illegalen Machenschaften ihrer Kunden wussten? Und diese dabei auch unterstützt haben? Für Eichin deutet viel darauf hin, dass «das mit der Beihilfe wohl nichts wird. Aber was natürlich weiter im Raume steht, ist die Bildung einer kriminellen Vereinigung.» Auch wenn er es nicht für gerechtfertigt halte.

Auch Collet meint: «Die Beihilfe müsste man ja für jeden einzelnen Fall hinbekommen.» Das sei schwierig, sei doch das Rechenzentrum eigentlich nichts anderes als ein Bankschließfach. «Und solange wir nicht selber aufschließen und da reingucken können, wissen wir doch nicht, was die Leute da reintun.» Bei dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung müsse man schauen, für wen das gelten könnte. «Nicht für alle.»

Das Gericht gibt sich bei der Frage nach dem Stand des Verfahrens wenig auskunftsfreudig. «Die Beweisaufnahme läuft noch», teilte die Pressestelle mit. Dass der Prozess so lange dauere, sei «dem Umfang des Prozessstoffes geschuldet». Es seien überwiegend Ermittler gehört worden. Es handele sich aber wohl nicht um den längsten Prozess am Landgericht Trier.

Am Montag und Dienstag (27./28.9.) gehe die Beweisaufnahme weiter. «Der weitere Verlauf und die Dauer des Verfahrens hängt insbesondere auch vom Verteidigungsverhalten der Angeklagten ab», teilte die Pressestelle weiter mit. Angeklagt sind vier Niederländer, drei Deutsche und ein Bulgare.

Klage vor Bundesgerichthof?

Anwalt Eichin kritisierte «gravierende Ermittlungsdefizite», die im Prozess immer wieder zutage getreten seien. Zum Beispiel bei der Auswertung der Server. «Da hat man behauptet, es wäre nichts Legales auf diesen Servern gewesen. Und dann stellt sich heraus, man hat nur fünf Prozent ausgewertet.» Dass sein Mandant dann von all dem gewusst haben soll, sei «absurd».

Persönlich störe ihn, dass die Staatsanwaltschaft «wirklich sehr, sehr einseitig» ermittele. «Man guckt wirklich nur: Was ist belastend? Das Entlastende wird völlig ausgeblendet.» Der «Jagdtrieb» sei klar, sie wollten das Paket, an dem sie fünf Jahre geschnürt hätten, fertig bekommen. «Aber man muss sich vorstellen: Die Menschen sitzen jetzt schon teilweise seit zwei Jahren in Untersuchungshaft.»

Eichin sagte, am Ende werde der Prozess nicht in Trier entschieden. «Egal, wie er ausgeht, geht er sicherlich zum Bundesgerichtshof.» Möglicherweise folge dann auch eine Verfassungsbeschwerde. «Das wird alles Zeit in Anspruch nehmen. Und dann werden wir vielleicht in vier bis fünf Jahren wissen, wie es wirklich war. Nur dann wird sich keiner mehr daran erinnern», sagte der Anwalt in Mannheim.


Bildnachweis: © Thomas Frey/dpa/Archivbild
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